Abstracts der Vorträge

Ringvorlesung Kulturelle Pluralität in Feminismus sichtbar machen (Wintersemester 2023/24)

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(Allgemeine Informationen zur Ringvorlesung)


Magdalena Kraus: Feministische Perspektiven aus Lateinamerika: “[e]l equívoco de que es posible pensar de la misma forma desde el Norte y desde el Sur” (1) (24.10.2023, 18:30)

Abstract: In Lateinamerika kämpfen Frauen seit Jahrhunderten gegen patriarchale Strukturen der Abhängigkeit und für soziale Gerechtigkeit. Aus dieser Praxis heraus haben zahlreiche Denker*innen grundlegende theoretische Konzepte ausgearbeitet und umgesetzt, wie z.B. die Verankerung von Feminizid (Frauenmord) im Strafgesetz. Der Vortrag soll einen einführenden Überblick zu feministischen Perspektiven im castellano-sprachigen Lateinamerika geben. Die kulturell sehr heterogenen Gesellschaften spiegeln sich auch im dortigen Feminismus wider: Dabei sind indigene Lebensrealitäten und Denkweisen für feministische Bewegungen relevant, sowie anti-rassistische und afrodescendiente Feministinnen, dekoloniale Ansätze sowie Frauen, die sich vom Begriff des Feminismus distanzieren. Im Rahmen feministischer Befreiungs- und Queertheologien spielt außerdem die Kategorie Religion eine zentrale Rolle.

Magdalena Andrea Kraus MA MA promoviert im Bereich Internationale Entwicklung an der Universität Wien zum Zusammenhang von Religion und Kritik in Lateinamerika mit Fokus auf populare Religiosität. Ihre Forschungsschwerpunkte sind dekoloniale und feministische Theorien sowie lateinamerikanische und interkulturelle Philosophie. Gemeinsam mit Martina Kopf und Anke Graneß veröffentlichte sie 2019 das Buch „Feministische Theorie aus Afrika, Asien und Lateinamerika: Eine Einführung“.

(1) Segato, Rita (2015). La crítica a la colonialidad en ocho ensayos. Y una antropología por demanda. Buenos Aires: Promoteo, 18.

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Liselotte Abid: Islamischer Feminismus: Die Quadratur des Kreises? (7.11.2023, 18:30)

Abstract: Ist es möglich, im Rahmen einer meist als patriarchal etikettierten Religion wie dem Islam Feminismus zu entwickeln? Wie und in welchem Rahmen kann das geschehen? Und was bedeutet Muslim:innen der Begriff Feminismus?

Gewiss ist „islamischer Feminismus“ kein einheitliches Ideen-Gebäude oder gar Konzept. Ebenso wie es im globalen Feminismus verschiedene Strömungen gibt und die Entwicklung nicht abgeschlossen ist, so ist auch im entsprechenden muslimischen Bereich vieles in ständiger Bewegung. Für manche Feminist:innen ist es strittig, ob es im Rahmen des Islam überhaupt Feminismen geben kann, und auch unter Muslim:innen gibt es zwischen feministischen Forderungen und der Ablehnung feministischer Konzepte eine große Bandbreite.
Ansätze der Frauenrechtsbewegung reichen in manchen mehrheitlich muslimischen Ländern rund 150 Jahre zurück; sie entwickelten sich vor dem Hintergrund von antikolonialen und nationalistischen Bewegungen und einer beginnenden Säkularisierung. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beriefen sich muslimische Frauenaktivistinnen zunehmend auf den Islam und dessen frühe Geschichte, um islamische Frauenrechte herauszuarbeiten, die in den patriarchalen Gesellschaften völlig verdrängt worden waren.

Eine islamisch-feministische Theoriebildung entwickelte sich erst seit den letzten Dekaden des 20. Jh. zunächst hauptsächlich im theologischen Bereich. Hingegen wurden und werden die Debatten zu den Gender-relevanten sozialen Fragen im Bereich der islamischen Jurisprudenz und den abgeleiteten Rechtsvorschriften geführt. In diesen intersektionalen Aushandlungsprozessen und Protestbewegungen entstand das Bewusstsein, dass Geschlechtergerechtigkeit nur durch ein neues, hermeneutisches Verständnis und frauengerechte Lesarten des Koran und der kritischen Re-Evaluierung von Überlieferungen zu erreichen sei und zu tiefgreifenden, auch rechtlich abgesicherten Reformen der Geschlechterverhältnisse führen müsse.

Die sog. “islamische Welt” – die mehrheitlich muslimischen Länder und vom Islam geprägten Kulturen von Marokko bis Südost-Asien – bieten hier viele Überraschungen, wobei – last not least – die muslimische Diaspora in der westlichen Hemisphäre kräftig mitmischt. Islamischer Feminismus ist eine spannende „Melange“!

Liselotte Abid, geb. in Niederösterreich. Mag. phil., Dr. phil., Studium der Publizistik und Orientalistik an der Universität Wien. Seit 1993 freie Journalistin (ORF-Hörfunk, div.Printmedien), 2002 – 2020 Lehrbeauftragte an der Universität Wien; Gastvorlesungen an mehreren Universitäten. Schwerpunkte der journalistischen und wissenschaftlichen Arbeit: Frauen und Frauenrechte im Islam und in mehrheitlich muslimischen Ländern, islamischer Feminismus, das Verhältnis des Islam zu Menschenrechten und Demokratie sowie die Situation von Muslim:nnen in Europa.

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Martina Kopf: Wangari Maathai und ökofeministisches Denken in Kenia (21.11.2023, 18:30)

Abstract: In Decolonization and Afro-Feminism (2020) schlägt Sylvia Tamale, feministische Aktivistin und Theoretikerin aus Uganda, afrikanischen Ökofeminismus als eine besondere Form der Intersektionalität vor, welche die Verbindung zwischen Gendergerechtigkeit, sozialer und ökologischer Gerechtigkeit in den Vordergrund stellt. Der Begriff „Ökofeminismus“ geht auf die französische Philosophin, Schriftstellerin und Aktivistin Françoise d’Eaubonne zurück. Sie war in der westlichen Frauenbewegung der 1970er Jahre eine der ersten, welche konsequent Zusammenhänge zwischen der patriarchalen Unterdrückung der Frau als Subjekt und der Natur als Lebensraum benannte. Tamale schlägt jedoch eine andere Genealogie des afrikanischen Ökofeminismus vor, die sich auf kommunale Werte, Glaubenssysteme, landwirtschaftliches Wissen und ökologisches Verhalten beruft, nach denen afrikanische Gesellschaften organisiert waren. In Tamales Worten: „Women in the global South may not have self-identified as ‚ecofeminists,‘ but they have a long history of ecological consciousness and moral obligation towards future generations.“

Eine, die diesen Ansatz verkörperte, war die kenianische Naturwissenschaftlerin, Umweltaktivistin, Autorin und Parlamentarierin Wangari Maathai, die 2004 für das von ihr gegründete Green Belt Movement mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Sie verband in ihrem Denken und Handeln den Kampf gegen die Kapitalisierung und Zerstörung von Wald mit Feminismus, dem Kampf für Demokratisierung, kulturelle Dekolonisierung und ökonomische Rechte und gilt heute als Wegbereiterin eines dekolonialen, intersektionalen Ökofeminismus im afrikanischen Kontext und darüber hinaus. In diesem Vortrag möchte ich auf Verbindungen von Umweltbewusstsein, Feminismus und politischem Kampf in Maathais Autobiographie Unbowed: A Memoir eingehen und sie im Licht anderer wegweisender feministischer Denkerinnen in Kenia bzw. der Diaspora lesen, insbesondere in Bezug darauf, welche Bedeutung kulturelles Wissen und feministische Vorbilder aus der eigenen Geschichte in ihrem Denken haben.

Dr. Martina Kopf ist Senior Lecturer am Institut für Afrikawissenschaften, Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Entwicklungstheorie und -kritik in afrikanischer Literatur (Schwerpunkt Kenia) und die Ideengeschichte von Entwicklung in Afrika (Fokus koloniale Diskurse 1930-1950). Sie arbeitet zu afrikanischen und intersektionalen Feminismen und zu Fragen literarischer Zeugenschaft, insbesondere in Bezug auf den Genozid in Ruanda und in Bezug auf sexualisierte Gewalt. Publikationen: Anke Graneß, Martina Kopf, Magdalena Kraus (2019) Feministische Theorie in Afrika, Asien und Lateinamerika. Wien: facultas.

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Denise Berghold-Caldwell: Sorge und Care als schwarzfeministische Konzepte des (Über-)Lebens (9.1.2024, 18:30)

Abstract: Bedingt durch die historisch nachwirkende Situation globaler Ungleichheit, haben Schwarze Theoretikerinnen schon früh begonnen sich mit Konzepten der Sorge auseinanderzusetzen (Davis 1972, Hartman 1997). Wie Angela Davis und Saidiya Hartman, haben sie drauf verwiesen, dass Sorgeverhältnisse und Care gerade im Überleben in der Plantage ein wichtiger Faktor war. Sich verwandtschaftsunabhängig um einander zu sorgen gehörte für viele Menschen dazu, um die unberechenbare Eigenwilligkeit der Besitzer physisch und psychisch zu überleben. Nicht nur die Erfahrungen der Plantage, sondern auch der Kolonialismus als weltverändernde und prägende Zeit, beeinflussen Konzeptionen der Sorge Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Theoretikerinnen.

Die Konzeptionen sind sehr häufig von transnationalen und verbindenden Elementen geprägt, wie die afrikanische Philosophie Ubuntu (Hill Collins 1992/2005) und sie fragen nach Vermittlungsebenen des Umgangs gegen eine Dehumanisierung (Wynter 2015) und diskutieren vermehrt, wie Sorge und Liebe aussehen kann jenseits der Frage um Identität und intersektionalen Kategorisierungen (Nash 2013).

Denise Bergold-Caldwell ist gelernte Erzieherin und hat einige Zeit ihres beruflichen Lebens mit dem Arbeiten in der (feministischen) Mädchenarbeit verbracht. Nach ihrem Entschluss zu studieren, schrieb sie sich an der Philipps-Universität Marburg (Deutschland) ein und studierte dort Erziehungswissenschaft auf Diplom, mit Psychologie, sowie Friedens- und Konfliktforschung im Nebenfach. 2011 trat sie eine Doktorand:innen Stelle am Lehrstuhl für Sozialpädagogik, geführt von Prof. Dr. Susanne Maurer, an. Dort promovierte sie mit einem Themenschwerpunkt zu Bildungs- und Subjektivierungstheoretischen Fragen am Kreuzungspunkt von Geschlecht und race. Das Buch zur Dissertation erschien 2020 unter dem Titel: „Schwarze Weiblich*keiten. Intersektionale Perspektiven auf Bildungs- und Subjektivierungssprozesse“. Seit 01.04.2022 ist sie Universitätsassistentin (Post-Doc) an der Universität Innsbruck am Center Interdisziplinäre Geschlechterforschung Innsbruck.

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Oyèrónkẹ́ Oyěwùmí: Who is Not Afraid of Gender? (23.1.2024, 18.30)

Vortrag auf Englisch

Abstract:  In 2022, Judith Butler the renowned Feminist Theorist and Philosopher gave a keynote address at an International Conference Doing Global Gender. The title of her lecture was: Who is Afraid of Gender? Riffing off that important question, my lecture will ask: Who is Not Afraid of Gender? I will respond to critiques of the gender discourse, and Butler’s own Bundling of anti-colonial critique with garden variety misogynists. Identity matters will come to the fore as we interrogate the concept of gender itself, and its meanings  and impact depending on location.

Oyèrónkẹ́ Oyěwùmí is a Professor of Sociology at Stony Brook University, New York, United States of America. In 2021, Professor Oyèrónkẹ́ Oyěwùmí won the Distinguished Africanist Prize  of the African Studies Association; an award given to a member of the association who has made extraordinary contributions to the field. In her award-winning book The Invention of Women: Making an African Sense of Western Gender Discourses (University of Minnesota Press, 1997), Oyèrónkẹ́ Oyěwùmí makes the case that the narrative of gendered corporeality that dominates the Western interpretation of the social world is a cultural discourse and cannot be assumed uncritically for other cultures. She concludes that gender is not only socially constructed but is also historical. Furthermore, she points out that the current deployment of gender as a universal and timeless social category cannot be divorced from either the dominance of Euro/American cultures in the global system or the ideology of biological determinism which underpins Western systems of knowledge. Oyěwùmí has published extensively and her most recent publication is Naming Africans: On the Epistemic Value of Names (Gender and Cultural Studies in Africa and the Diaspora). Oyèrónkẹ́ Oyěwùmí and Hewan Girma (eds.), (2023).

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