Gegen gesellschaftliche Widerstände Transfeminismen und Schwarze Feminismen affirmieren – der Duke Feminist Theory Workshop 2023 (März 2023)

Flora Löffelmann nahm im Rahmen deren Doktoratsstudiums und mit einer Förderung des Referats Genderforschung am 16th Annual Feminist Theory Workshop an der Duke University im März 2023 teil.

Am 24.3.2023 und 25.3.2023 fand an der Duke University in Durham, North Carolina, der alljährliche Duke Feminist Theory Workshop statt. Es fällt mir schwer, genau zu benennen, wie oft ich den Namen dieser US-amerikanischen Universität schon auf Buchrücken und in den Literaturlisten von mir lieben Texten vorgefunden habe – Fakt ist, dass mir der Ort schon lange, bevor ich dieses Jahr im Rahmen des Workshops zum ersten Mal dort hinkam, ein Begriff war. Besonders Sara Ahmeds Queer Phenomenology (2006), erschienen im dort ansässigen Verlag, stellt seit mittlerweile fast zehn Jahren den theoretischer Background meiner Arbeiten.

Ich war überrascht, als ich Ende 2022 erfuhr, dass ich aus der Gruppe der internationalen Bewerber*innen für ein Reisestipendium zum Workshop ausgewählt worden war. Das bedeutete, mich zum ersten Mal „über den großen Teich” und an eine der berüchtigten Campus-Universitäten in den USA zu begeben. Wir alle kennen sie dank amerikanischem Kultur-Imperialismus aus Fernsehsendungen und Filmen: die großen amerikanischen Unis mit ihren Sportteams und omnipräsenten Logos, mit den Sororities und Fraternities, den neoklassizistischen Universitätsgebäuden und dem subtilen Hauch von white supremacy, der dem Verschweigen ihrer oft kolonial-ausbeuterischen Gründungsbudgets zu verdanken ist.

Wenig überrascht war ich also, als ich, neugierig wie ich bin, schnell herausfand, dass Washington Duke, dem die Universität ihren Namen und einen Großteil ihres Geldes zu verdanken hat, diesen Reichtum dem Tabakhandel und der Zigarettenproduktion sowie der Ausbeutung von mindestens zwei versklavten Personen, James Cox und Caroline Barnes, zu verdanken hat.1 Ebenfalls wenig überraschend findet sich am weitläufigen Campus zwar eine prominente Bronzestatue von Washington Duke, aber keine Erwähnung von Cox und Barnes. Es gibt auch Hinweise darauf, dass die Universität im Laufe ihrer Geschichte immer wieder versklavte Menschen „mietete”, dass das Haus-und Küchenpersonal durchwegs Schwarz war, und dass der Universitätsbetrieb erst 1963 de-segregiert wurde und Schwarze Studierende zum Unterricht zugelassen wurde.2

So viel also zum Rahmen, in dem der Duke Feminist Theory Workshop jährlich stattfindet. Das vielsagende Aussparen dieser Details aus der offiziellen Geschichte der Universität und die transfeindliche Stimmung, die derzeit vor allem in den Südstaaten der USA vorzufinden ist, kommentierte das Programm dieses Jahres mit einem erfreulichen Fokus auf Schwarzem Feminismus und Transfeminismus. Auch die Neubesetzung der Direktion des Studienbereichs Gender, Sexuality & Feminist Studies durch die renommierte Black Feminist Theoretikerin Jennifer C. Nash, die gewissermaßen Gastgeberin des Workshops war, setzte ein weiteres erfreuliches Zeichen. Als Nash die 18 internationalen Stipendiat*innen beim Kennenlern-Mittagessen herzlich willkommen hieß, war klar, dass ihr die Vernetzung junger Forschender enorm am Herzen liegt und sie den Feminist Theory Workshop als Ort des regen Austauschs versteht.

Die Keynotes, die den Hauptteil des Workshops bildeten, wurden von Roderick Ferguson eröffnet, der sich, ausgehend von Essays und Filmen der Autorin Toni Cade Bambara, der Frage widmete, welche sozialen Formationen durch die „Superpatriarchy” losgetreten wurden. Diese Metapher weist auf die neuen Relationen hin, die menschliches und planetares Leben bedrohen. Ferguson beantwortet dies mit dem anti-sozialen Ideal der „freien Gesellschaft”, deren einziger Zweck im Anhäufen von Kapital besteht. Als Resultat davon werden, so Ferguson, jene Studiengänge, die sich aus feministischer, queerer oder staatskritischer Perspektive mit dem Status Quo auseinandersetzen, langsam aus der US-amerikanischen Akademie ausgeschlossen – eine Tendenz, die, wie wir aus kürzlich erfolgten Erlässen wissen, schon heute in den USA das Forschen und Lehren betrifft.3 

Die nächste Keynote von Nat Raha und Mijke van der Drift beschäftigte sich aus einer transfeministischen Perspektive mit der Frage, wie sich, ausgehend von der Idee einer Kompliz*innenschaft, Fürsorge und Solidarität als befreiende Praxen einsetzen lassen. Sie legten dar, wie sich die „hard patriarchy”, verstanden als direkte Kontrolle von Subjekten, von der „soft patriarchy” unterscheiden lässt, die durch das Angebot von Inklusion die gewaltvollen Mechanismen, die Institutionen nach wie vor Inne wohnen, verschleiert. Die Homogenität der Gesellschaft, die so vorgegaukelt wird, ignoriert die Reibung, die zwischen unterschiedlich positionierten Subjekten notwendigerweise besteht, und die, ganz im Sinne von Audre Lorde, erst das Entstehen von neuen, solidarischen Zusammenhängen möglich macht. Raha und Van der Drift stellen fest, dass die vom Liberalismus propagierte „freedom of choice” oft nur bedeutet, aus vorgefertigten Möglichkeiten wählen zu dürfen, was letztendlich Individuen hervorbringt, denen nicht mehr erlaubt wird, individuell zu sein und die lediglich als Objekte marktlogischer Überlegungen dienen.

Im Bezug auf mein eigenes Dissertationsprojekt fand ich diesen Ansatz besonders inspirierend: Auch in meiner Arbeit geht es darum, wie normative Vorgaben, die durch ein vorgeblich „transfreundliches” Psychotherapiewesen materialisierten werden, bestimmte Vorstellungen von Geschlechtsidentität reproduzieren und dadurch zur Reduktion menschlicher Vielfalt sowie zur Einschränkung von Handlungsfähigkeit beitragen. In meinem Projekt analysiere ich aus der Perspektive der Sozialepistemologie (Fricker 2007, Dotson 2014, Harding 2004), der queeren Phänomenologie (Ahmed 2006, Salamon 2018), und mit foucaultscher Genealogie (Foucault 1978) ein Phänomen, das ich „rhetorisch-epistemische Unterdrückung“ (REU) nenne.4 Ich argumentiere, dass ein Augenmerk auf produktive Macht uns dabei helfen kann, Unterdrückung besser zu verstehen, die passiert, wenn jemandem nur geglaubt wird, weil diese Person sich auf eine bestimmte Art und Weise ausdrückt. Dabei interessiert mich, wie genau Sprecher*innen gezwungen werden, über sich so zu sprechen, dass gleichzeitig epistemische Unterdrückung und Produktion von Wissen stattfinden, das heißt, dass sie Wissen produzieren, das ihre Unterdrückung vorantreibt. In den Fällen, die im Zentrum meiner Studie stehen, wird die von REU betroffene Person dazu gezwungen, über den eigenen Körper und die eigene Geschlechtsidentität so zu sprechen, dass das Gesagte mit sozial vorherrschenden Normen und Erwartungen übereinstimmt.

Ich argumentiere im Rahmen meiner Arbeit, dass REU Subjekten auf mindestens zwei Arten schadet: Auf der diskursiven Ebene hält REU Subjekte davon ab, wichtige Wahrheiten über sich selbst zum Ausdruck zu bringen, und schränkt so ihre epistemische Handlungsfähigkeit ein. Auf der Erfahrungsebene beeinflussen die so hervorgebrachten Aussagen die verkörperte Situiertheit von Subjekten und schaden ihnen in ihrer Möglichkeit, verschiedene Arten des Seins auszuprobieren. REU betrifft nicht nur trans Personen, aber es ist auffallend, wie oft eben diese Ziel dieser Praxis sind. Wie schon viele Trans-Theoretiker*innen festgestellt haben: an den Erfahrungen von trans Personen oder gendernonkonformen Personen lässt sich besonders gut ablesen, mit welchen Mitteln das binäre cis-normative Geschlechtersystem seine Vormachtstellung aufrechtzuerhalten versucht.

Sayak Valencias Keynote richtete das Augenmerk genau auf diese wichtige Erkenntnis, dass Transfeminismus als ein epistemologisches Tool verstanden werden sollte. Ihr Ziel ist es, globale feministische Bewegungen zu de-essentialisieren und durch eine Anerkennung von Unterschieden Selbstkritik zu ermöglichen, um schließlich gemeinsam eine politische Front zu bilden. Das politische Subjekt des Feminismus müsse, so Valencia, in seiner Komplexität erhalten werden, wolle die Bewegung wirklich Ziele verwirklichen. Besonders die politische Praxis des Ungehorsams sei dafür notwendig, da sie uns erlaube, mit anderen Akteur*innen in Dialog zu treten und so Gemeinsamkeiten und Unterschiede festzustellen sowie Sichtbarkeit zu erlangen.

Die vierte Keynote, gehalten von LaMonda Horton-Stallings, fokussierte auf radikale Schwarze Autorinnen und ihre Beiträge zu feministischen Bewegungen. Horton-Stallings stellte eindrücklich dar, wie Geschichtenerzählen als Tool der oppositionellen Wissensschaffung genutzt werden kann, und bezog sich dabei, wie auch Ferguson, auf Toni Cade Bambara. Diese habe, wie Horton-Stallings feststellte, Geschichten verfasst, die binären Denkarten neue Verstehensweisen entgegensetzen.

Ein Programmpunkt, den ich aufgrund seines Formats besonders spannend fand und den ich allen Veranstaltenden sehr ans Herz legen kann, waren gemeinsame Diskussionsrunden zwischen den Teilnehmenden, die in Kleingruppen stattfanden. Nur zehn Personen pro Gruppe, und quer durch alle Erfahrungslevel, gab es den Raum, das Gehörte noch einmal revue passieren zu lassen und besonders interessante Aspekte gemeinsam zu diskutieren. So wollten etliche erfahrenere Wissenschafter*innen von den Jüngeren wissen, wie wir denn genau Transfeminismus verstehen und in unserer Arbeit nutzen würden. Dies geschah sehr wertschätzend und affirmativ, was in einer Welt, in der Transfeindlichkeit leider nach wie vor salonfähig scheint, eine sehr positive Erfahrung war.  Alles in allem würde ich den Duke Feminist Theory Workshop allen ans Herz legen, die sich auf einer internationalen Ebene mit den neuesten Forschungen aus der Welt des Feminismus auseinandersetzen und dabei spannende neue Personen kennenlernen wollen. Also bewerbt euch um das Reisestipendium, es lohnt sich! 

Literatur

Ahmed, Sara (2006): Queer Phenomenology. Orientations, Objects, Others. Durham & London: Duke University Press.
Bettcher, Talia Mae (2017): “Through the Looking Glass: Trans Theory Meets Feminist Philosophy.” In: Routledge Companion of Feminist Philosophy. Eds. Ann Garry, Serene J. Khader, and Alison Stone.      New York: Routledge. 393–404.
Dotson, Kristie (2014): “Conceptualizing Epistemic Oppression.” Social Epistemology. 28(2). 115–138.
Foucault, Michel (1978): The History of Sexuality. Volume I: An Introduction.  New York: Pantheon Books.
Fricker, Miranda (2007): Epistemic Injustice. Power and the Ethics of Knowing. New York: Oxford University Press.
Gillispie, Valerie (2020): “Let's embrace Duke's entire history. It’s ok to have a more complicated love of the university.” Online: https://alumni.duke.edu/magazine/articles/lets-embrace-dukes-entire-history
Harding, Sandra (2004): “Introduction: Standpoint Theory as a Site of Political, Philosophic, and Scientific Debate“. In: Harding, Sandra (ed.): The Feminist Standpoint Theory Reader. Intellectual and Political Controversies. New York and London: Routledge. 1–15.
Salamon, Gayle (2018): The Life and Death of Latisha King. A Critical Phenomenology of Transphobia. New York: New York University Press.

in einer rosa Hose gekleidete Knie vor einem schön angelegten Park; auf den Knien ein Umschlag mit den handgeschriebenen Worten: "Conference Readings Duke"
Reihen von Stühlen in einem Vorlesungssaal, auf denen Menschen sitzen
Ein Brainstorming rund um das Thema "Patriarchy"
ein Grabstein mit der Inschrift "SELF"